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Mehr als Freizeitvergnügen

Interview mit Professorin Dr. Ulrike Gerdiken (KH Mainz) zum Thema Kulturelle Bildung an Hochschulen und Persönlichkeitsentwicklung

Professorin Dr. Ulrike Gerdiken ist Professorin für Medienpädagogik und Kommunikationswissenschaften im Fachbereich Soziale Arbeit und Sozialwissenschaften der KH Mainz. Sie beschäftigt sich in Lehre, Forschung und Praxis seit vielen Jahren mit dem Thema Kulturelle Bildung. (© Angelika Kamlage)

Sie haben zwischen Januar 2021 und März 2022 im Projekt „Eigen-ART. Persönlichkeitsentwicklung durch Kulturelle Bildung“ erforscht, warum sich Studierende in kulturellen und kreativen Angeboten an Hochschulen engagieren. Wieso haben Sie dieses Thema für ihre Forschung ausgewählt?

Tatsächlich machen im Grunde alle Hochschulen und Universitäten ihren Studierenden kulturelle Angebote – sei es im Bereich der klassischen Künste wie Musik, Kunst und Theater oder in digitalen oder soziokulturellen Projekten. Meine Kollegin Barbara Lämmlein, mit der ich das Projekt an der Frankfurt University of Applied Sciences umgesetzt habe, und mich interessierte, warum Studierende an diesen Angeboten teilnehmen und ob sich daraus Auswirkungen auf deren persönliche Entwicklung ergeben. Ich beschäftige mich schon seit geraumer Zeit mit Themen und Projekten der Kulturellen Bildung, habe eigene Lehr-Lern-Erfahrungen gesammelt und zur Wirkung kultureller Bildungsangebote geforscht, zum Beispiel in Bezug auf Führungskräfte. Mit diesem Forschungsprojekt wurde nun erstmals eine Studie durchgeführt, die kulturelle Angebote explizit in Bezug auf den Kontext Studium und Hochschule sowie die Zielgruppe der Studierenden untersucht.

Was sind die wesentlichen Ergebnisse Ihrer Forschung?


Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass dem Gemeinschaftserleben im Studium eine hohe Bedeutung zukommt. Kulturelle und künstlerische Angebote können dieses Erleben fördern. Darüber hinaus unterstützen die Angebote den Übergang in die Hochschule und tragen so zu einem erfolgreichen Start in das Studium bei. Deutlich wird auch, wie wichtig den Studierenden ein Ausgleich zur Leistungsorientierung und der Kontakt zu Kommiliton*innen aus anderen Studiengängen und Semestern sind. Beides finden sie zum Beispiel im Chorsingen, Theaterspielen oder Gestalten einer Radiosendung. Nicht zuletzt bieten die Angebote einen Schutzraum, in dem die Studierenden Neues ausprobieren und Selbstwirksamkeit erfahren können. Die Ergebnisse machen deutlich, dass kulturelle Angebote an Hochschulen kein reines Freizeitvergnügen sind, sondern einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden leisten.

Woher kommt denn dann der Eindruck, dass kulturelle und kreative Bildungsangebote an Hochschulen eher Freizeitvergnügen oder nettes „Add-on“ sind, ohne für das eigentliche Studium und den Studienerfolg eine sonderliche Bedeutung zu haben?

Dass kulturelle Angebote gerne im Freizeitbereich verortet werden, hat meines Erachtens viel mit der Frage zu tun, welches Bildungs- und Kompetenzverständnis wir mit Hochschulbildung assoziieren. Seitens der Hochschulrektorenkonferenz wird ein Bildungsanspruch formuliert, der neben exzellenter Lehre und Forschung unter anderem die persönliche und gesellschaftliche Entwicklungsförderung hervorhebt. Gleichzeitig liegt dem Hochschulqualifikationsrahmen ein eher enges Kompetenzverständnis zu Grunde, wonach Kompetenzen kognitiv, leistungsbezogen und messbar sein müssen. Häufig steht also eher ein abprüfbares Wissen im Vordergrund, wenn wir an den Output des Studiums denken.

Und Kulturelle Bildung passt hier irgendwie nicht rein?


Ja, vielleicht kann man das so sagen. Kulturelle Bildung ist ein Bildungskonzept, das auf einem weitem Kultur- und Bildungsbegriff basiert. Es geht davon aus, dass der Mensch sich durch die Auseinandersetzung mit künstlerischen und kulturellen Feldern und Themen persönlich, gesellschaftlich und politisch weiterentwickeln kann. Das Ziel Kultureller Bildung ist es, Menschen durch aktive und passive Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur zu erfolgreichen Lebenskünstler*innen zu machen, die in der Lage sind, das eigene Leben und die Gesellschaft mitzugestalten. Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass dies auch tatsächlich gelingen kann und die Studierenden durch die Teilnahme an kulturellen Angeboten Ressourcen und Kompetenzen aufbauen, die sie stärken und in ihrer persönlichen und gesellschaftlichen Entwicklung voranbringen – nur ist diese Entwicklung schwer in Messbares zu übertragen.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, den Wert Kultureller Bildung an Hochschulen sichtbarer zu machen?

Kulturelle Bildung und die Ergebnisse unserer Forschung sind auch mit Blick auf Themen wie Übergang in die Hochschule, Resilienz, Studienerfolg oder Identifikation mit der Hochschule relevant. Diesen Zusammenhang gilt es in Bezug auf Fragen der Hochschulentwicklung deutlicher zu machen. Kulturelle Bildungsangebote stärken die Attraktivität der Hochschule und zeigen, dass sowohl die fachliche als auch die persönliche Entwicklung junger Menschen eine Rolle spielen und ein ganzheitlicher Beitrag zur Gestaltung von Politik und Gesellschaft verfolgt wird. Um den Studierenden die Kompetenzentwicklung durch das kulturelle Engagement bewusst zu machen und es auf andere Lebensbereiche übertragen zu können, wären begleitende Reflexionsseminare sinnvoll - beispielsweise eingebunden in fachbereichsübergreifende Wahlpflichtmodule. Auf diese Weise wird Kulturelle Bildung Teil des Curriculums und kann mit dem Erwerb von Leistungspunkten verbunden werden, was den Anreiz zur Teilnahme stärkt.

Welche Angebote bietet die KH Mainz denn aktuell im Bereich der Kulturellen Bildung?


Im Studium der Sozialen Arbeit ist das Thema Kulturelle Bildung fest im Lehrplan verankert – unter anderem durch zwei verpflichtende Medienblockwochen mit künstlerischen und medienpädagogischen Angeboten, zum Beispiel zum Thema Podcast und Blogging oder auch Tanz, und Gruppenspiel. Die handlungsspezifischen Vertiefungen im Bereich Kunst, Theater, Musik didaktische Spieleentwicklung und Medienpädagogik sind ein Wahlpflichtangebot, das ebenfalls fest angeboten wird.
Freiwillig und außerhalb des Lehrplans gibt es für Studierende aller Fachbereiche zum Beispiel den Hochschulchor, einen Malkurs, den Kulturabend „Deine Chance auf der Bühne“ sowie den Kulturausschuss, in dem eigene Ideen entwickelt werden können. Corona hat in diesem Bereich natürlich in den letzten zwei Jahren Vieles lahmgelegt. Deshalb sind wir besonders froh, dass wir Angebote wie den Chor halten konnten. Die außercurricularen Angebote möchten wir gerne weiter ausbauen, weshalb zum Beispiel eine Theatergruppe in Planung ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch mit Professorin Dr. Ulrike Gerdiken führte Christina Mauer, Hochschulkommunikation

Die Forschungsergebnisse aus dem Projekt „Eigen-ART“ sind auf der Plattform www.kubi-online.de veröffentlicht: https://www.kubi-online.de/artikel/bigband-bis-urban-gardening-motivationale-gruende-studierender-kulturelles-engagement